Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur FDP

»Wir werden nicht über einen Mindestlohn
diskutieren«, hat FDP-Vorsitzender Philipp Rösler in seiner
Nürnberger Rede gesagt. Getan haben die Liberalen es trotzdem. Denn
die Abgrenzung einer Debatte über »Leistungsgerechtigkeit« von einem
»flächendeckenden, einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn«, die
Rösler vornahm, ist Wortklauberei für liberale Puristen. Der FDP-Chef
sagt nur ein paar Sätze später, dass die sonst so gepriesene
Tarifautonomie vielen Menschen nicht weiterhelfe, wenn die
Gewerkschaften zu schwach seien, um ordentliche Löhne zu erstreiten.
Er drückt das abstrakter aus, spricht von »Regionen, in denen es
keine starken Tarifpartner mehr gibt«. Doch klar ist: Hier soll die
unterkühlte Marktgläubigkeit mit Herzenswärme angereichert werden.
Jetzt muss die FDP sogar die Arbeit der Gewerkschaften machen! Man
hübscht sich auf für einen Bundestagswahlkampf, in dem die soziale
Gerechtigkeit beherrschendes Thema zu werden scheint. Aber der
Beifall für Rösler ist an dieser Stelle zögerlich. So wie seine
Partei mit dem Begriff »Mindestlohn« fremdelt, so fremdelt sie mit
Bemühungen auf ungewohntem Terrain. Steht da vorne doch einer und
sagt Sätze wie »Wir wollen nicht den freien ungezügelten Wettbewerb.«
Vielmehr müssten am Ende »die besten sozialen Ergebnisse herauskommen
können«. Rösler bemüht sich, nicht nur bei der Kernklientel für seine
Farben zu punkten. Und er wirkt ehrlich dabei, schließlich geißelt er
Löhne von drei Euro – und wer findet die schon gut? Die weitere
Debatte in Nürnberg belegt jedoch, dass er selbst damit nicht wenige
der Seinen überfordert. Weil Röslers Führungsriege das weiß, beteuert
Generalsekretär Patrick Döring, man wolle keine »politischen Löhne«.
Gleichwohl sei die Debatte über Lohnuntergrenzen geradezu eine Zier
für die FDP, der die Probleme der Geringverdiener eben nicht egal
seien. Döring bringt dies auf den Nenner »Keine dauerhafte
Subventionierung von unterbezahlter Arbeit durch die öffentliche
Hand!«. Am Ende sind nach kontroverser Debatte gerade mal 57,4
Prozent der 660 Delegierten für solche Slogans zu haben. Rösler mag
zufrieden sein, er kann im weiteren Wahlkampf auf diese soziale
Errungenschaft verweisen. Für schlecht bezahlte Beschäftigte bringt
dieser Beschluss aber zunächst gar nichts. Denn die FDP-Delegierten
in Nürnberg haben nicht um wirklich auskömmliche Löhne gestritten,
sondern nur um ihre eigenen Prinzipien. Ziel war, dass Menschen, die
keinen Mindestlohn nötig haben, sich bei der Stimmabgabe für die FDP
etwas besser fühlen. Das ist legitim – aber ein Unterschied, der
größere Bedeutung hat als die sprachliche Hemmschwelle zwischen
Mindestlohn und Lohnuntergrenze.

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