Wir mögen nicht mit ansehen, dass Menschen zu
Hunderten im Mittelmeer ertrinken. Aber wollen wir deswegen auch
schon, dass sie uns kommen? In der Debatte um den richtigen Umgang
mit Flüchtlingen ist momentan viel Heuchelei im Spiel. Ein Leichtes
ist es, die Politik zu kritisieren für das, was sie tut, und für
das, was sie zu tun unterlässt. Doch wie sieht es eigentlich mit
unserer Bereitschaft aus, Flüchtlinge in weit größerer Zahl
aufzunehmen, als das bisher der Fall ist?
Damit kein Missverständnis entsteht: Die Beschlüsse des EU-
Sondergipfels müssen kritisch hinterfragt werden. Wird man doch das
Gefühl nicht los, dass es hier eher um die Rettung des eigenen
Gewissens als um das Retten vollkommen verzweifelter Menschen geht.
Das beweist allein die Tatsache, dass der Einsatz der Europäer auch
weiter auf die italienische Küste begrenzt bleibt. Die meisten
Flüchtlinge verlieren ihr Leben aber schon vor Libyen, wo die im
Rahmen der nun finanziell aufgestockten »Triton«-Mission
eingesetzten europäischen Seenotretter vorsichtshalber erst gar
nicht im Einsatz sein werden.
Zudem ist der Jargon des Maßnahmenpakets doch arg militärisch:
Mit Kriegsschiffen soll gegen die Schleuser vorgegangen werden. Wo
immer möglich, sollen die Schlepperboote schon vor ihrem Einsatz
zerstört werden. Das alles klingt nicht nur nach einer
Abwehrschlacht, es ist auch eine. Im Grunde genommen hat der
Brüsseler Gipfel vor allem eines bewiesen: Oberstes Ziel ist es für
viele nach wie vor, die Menschen von einer Flucht in Richtung Europa
abzuhalten.
Gern garniert wird das Ganze dann noch mit dem Appell, man solle
doch besser alles dafür tun, dass die Menschen erst gar keinen Grund
mehr hätten, ihre Heimat zu verlassen. Dies aber ist wohlfeil,
solange Europa erleben muss, dass seine Möglichkeiten, in Syrien und
anderswo für Frieden zu sorgen, gleich Null sind. Bleibt folglich nur
Ehrlichkeit, und diese Ehrlichkeit ist schonungslos: Entweder wir
schotten uns weiter so »gut« wie möglich ab, oder wir Europäer
wollen wirklich etwas ändern an unserer Flüchtlingspolitik. Dafür
gibt es zwei Wege: Die EU ändert eine Richtlinie aus dem Jahr 2001
zur Abwehr illegaler Einwanderer, nach der Fähr- und
Fluggesellschaften drastische Strafen drohen, wenn sie Menschen ohne
Papiere in die EU befördern. Dann nämlich wäre die
lebensgefährliche Flucht der Menschen übers offene Meer nicht
notwendig. Das aber ist wenig wahrscheinlich, weil damit zwangsläufig
Regeln für eine legale Einwanderung gefunden werden müssten. Oder die
EU eröffnet Flüchtlingen noch in ihrer Heimat die Möglichkeit, Asyl
zu beantragen.
Auch das allerdings wird nur wollen, wem vor mehr Flüchtlingen im
Zweifel nicht bange ist. Und zwar mit allen Konsequenzen. Wer dazu
nicht bereit ist, der muss damit leben, dass das elendige Sterben im
Mittelmeer weitergeht. Und dass wir dafür mitverantwortlich
sind.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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