Mit der transatlantischen Freihandelszone
verhält es sich wie mit Scheinriesen in Michael Endes »Jim Knopf und
der Lokomotivführer«. Je näher man an ihn herankommt, desto kleiner
wird er. Das von Barack Obama in der Rede zur Lage der Nation
unterstützte Projekt verspricht den größten gemeinsamen Handelsraum
der Welt zu schaffen. Eine Freihandelszone, deren Mitglieder schon
heute weltweit die Hälfte aller Wirtschaftsleistungen erbringen und
ein Drittel des globalen Handels bestreiten. Der laute Beifall auf
beiden Seiten des Atlantiks über das Versprechen des US-Präsidenten,
bereits in diesem Sommer in Verhandlungen mit der Europäischen Union
einzusteigen, dürfte schon sehr bald Ernüchterung weichen. Spätestens
wenn in den Blick rückt, wie bescheiden der Impuls für das Wachstum
ist. Die Schätzungen schwanken zwischen 0,25 und 0,5 Prozent beim
Bruttoinlandsprodukt in beiden Wirtschaftsblöcken. Der Grund für die
bescheidenen Aussichten erklärt sich mit den ohnehin schon niedrigen
Handelsschranken zwischen Europa und den USA. Im Schnitt liegen die
Zölle für den Austausch von Waren und Dienstleistungen bei drei
Prozent. Nicht genug, um den Handel wirklich zu hemmen. Oder
umgekehrt durch ein Freihandelsabkommen zu beflügeln. Schon jetzt
stehen die Lobbyisten auf beiden Seiten des Atlantiks in den
Startlöchern, bestehende Hürden aufrechtzuerhalten. Allen voran in
der Landwirtschaft, der Automobilindustrie und im Luftverkehr, um nur
drei Problembereiche auszumachen. Die amerikanische Handelskammer
empfiehlt vorsorglich, den schwierigen Agrarsektor auszuklammern. Sie
ahnt, dass es über genetisch veränderten Mais und hormonbehandeltes
Fleisch wenig Spielraum für Kompromisse gibt. Je mehr diese
Knackpunkte in den Fokus der auf zwei Jahre angelegten Verhandlungen
rücken, desto lauter dürfte die Frage gestellt werden, ob das auf
Normalgröße geschrumpfte Projekt den Aufwand lohnt. Bei aller Skepsis
muss die Antwort aber ein eindeutiges »Ja« sein. Der Abbau von Zöllen
ist nämlich nur ein Teilaspekt. Eine solide ausgehandelte
Freihandelszone baut Bürokratie ab und gleicht Standards an. Von der
Aufsicht bei Waren und Dienstleistungen über die Vereinheitlichung
technischer Normen bis hin zum Patentrecht, Umweltschutz und der
gegenseitigen Anerkennung von Titeln. Davon profitiert vor allem der
Mittelstand, der sich oft keine teuren Experten für den Papierkram im
transatlantischen Geschäft leisten kann. Wichtiger als der
wirtschaftliche Nutzen ist der politische Wert der Initiative. Zu
einem Zeitpunkt, in dem die USA ihren Blick auch über den Pazifik
nach Asien richten, schafft die Aussicht auf eine gemeinsame
Freihandelszone eine neue transatlantische Perspektive. Allein schon
deshalb verdient das Projekt eine echte Chance.
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