An Schärfe mangelt es nicht im Streit um die 
Hartz-IV-Gesetze. SPD-Chef Sigmar Gabriel will sich von der 
Bundesregierung »nicht erpressen« lassen, Unionspolitiker nennen das 
Veto der Opposition »unverantwortlich«. Nun gehören solche Töne zum 
Alltag der parlamentarischen Demokratie, an dessen Ende zumeist mehr 
oder minder gut austarierte Kompromisse stehen. Auch diesmal könnte 
das so sein, wie Angela Merkels zur Schau gestellte Gelassenheit 
ahnen lässt. Doch geht es um mehr als um das übliche Geschacher: In 
der Debatte um Hartz IV gibt es für die Parteien zwar wenig zu 
gewinnen, aber viel zu verlieren. Schuld daran sind auch zu frühe 
Festlegungen. Die Höhe der Hartz-IV-Leistungen muss sich immer am 
Maßstab der Solidarität und am Lohnabstandsgebot messen lassen. Doch 
für die SPD war – wie auch für die Linkspartei und die Sozialverbände
– mit dem Urteil des Verfassungsgerichts klar, dass die Regelsätze 
deutlich steigen müssten. Das aber hatten die Karlsruher Richter gar 
nicht verlangt. Im Urteil war lediglich eine transparente Berechnung 
der Regelsätze gefordert worden – über deren Höhe fand sich nichts. 
Dessen ungeachtet fiel die Empörung der Opposition riesig aus, als 
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen einen Aufschlag von »nur« fünf
Euro ankündigte. Was Wunder also, dass die SPD bis zuletzt alles 
dafür tun muss, der Regierung eine nachträgliche Erhöhung des 
Regelsatzes abzuhandeln. Das wäre ein echter politischer 
Paukenschlag. Und den könnten die Sozialdemokraten, von denen auf 
Bundesebene zuletzt erstaunlich wenig zu hören war, gut gebrauchen. 
Auch mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Hamburg, 
Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Nun liegt es 
in der Natur der Sache, dass Schwarz-Gelb den Regelsatz als letztes 
zur Disposition stellen kann. Auch daran hat die Kanzlerin gestern 
keinen Zweifel gelassen. Allein der Verdacht, hier zum Feilschen 
bereit zu sein, würde den Verfassungsauftrag einer transparenten 
Berechnung ad absurdum führen. Neue Klagen gegen die Reform, mit 
denen ohnehin gerechnet werden muss, hätten – sprichwörtlich über 
Nacht – allerbeste Erfolgsaussichten. Weil Änderungen am Regelsatz 
für die Regierung tabu sein müssen, wird sie der Opposition an 
anderer Stelle entgegenkommen, um eine Mehrheit im Bundesrat zu 
bekommen. Am wahrscheinlichsten ist, dass Union und FDP bis Sonntag 
ihren Dissens überwinden und sich bei den Themen Leiharbeit und 
Mindestlohn gesprächsbereit zeigen. Auch Nachbesserungen beim 
Hilfspaket für Kinder sind denkbar.  Beides wäre ohne Zweifel weit 
mehr als ein Achtungserfolg für SPD, Grüne und Linkspartei. Eine 
krachende Niederlage der Regierung allerdings sieht anders aus. 
Sigmar Gabriel weiß das. Wahrscheinlich rasselt der SPD-Chef gerade 
auch deshalb so laut mit dem Säbel, damit man sein Pfeifen im Walde 
nicht hört.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261
