Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Inflationsrate

Es stimmt: Das Leben wird täglich teurer. Selbst
nach der amtlichen Statistik ist die jährliche Inflationsrate von
Januar 2010 bis Januar 2011 von 0,8 auf 2,0 Prozent gestiegen. Dabei
gibt nicht so sehr die Höhe als vielmehr die Dynamik der
Preissteigerung zu denken. Der Durchschnitt lag 2010 bei 1,1 Prozent.
Schon sagen Fachleute wie Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, voraus, dass sich die Inflationsrate »bald« auf vier Prozent
erhöhen werde. Sogar die Europäische Zentralbank spricht von
Inflationsgefahr. Aber sie zieht nicht die Konsequenz. Der Leitzins
bleibt unverändert. Dafür gibt es gute Gründe. Zum einen entwickeln
sich die Volkswirtschaften in Europa nicht überall so positiv wie in
Deutschland. Zum anderen kann man selbst bei einem Wachstum von zwei
Prozent nicht davon sprechen, dass die Konjunktur dabei sei, zu
überhitzen. Im Gegenteil: Die Wirtschaft müsste noch mehr wachsen,
damit über höhere Steuereinnahmen die finanziellen Folgen der
Krisenbewältigung wenigstens etwas aufgefangen werden. Noch bevor die
Kreditzinsen steigen, haben die Firmen schon jetzt Probleme bei
Energie und Rohstoffen. Strom, Öl, Gas, Stahl, Kupfer und selbst
Baumwolle, Weizen sowie Kakao verteuern sich viel mehr als der
Verbraucherpreisindex. Ein Drehen an der Zinsschraube würde manchem
Betrieb die Luft abschnüren. Preiserhöhungen sind angesichts der
Billigkonkurrenz aus Asien kaum möglich. Da stehen außer dem Sparsinn
der Verbraucher auch die Konkurrenz im Handel entgegen. Dass trotzdem
fast alle Discounter und Verbrauchermärkte Ende Januar den
Kaffeepreis um 20 Prozent erhöht haben, zeigt, dass sie angesichts
der Gewinnmargen keinen Ausweg mehr sahen. Schließlich ist der
Kaffeepreis im 21. Jahrhundert neben dem Benzinpreis etwa das, was
zum Zeitpunkt der Französischen Revolution der Brotpreis gewesen ist:
der Maßstab, an dem der Verbraucher seine ganz persönliche
Inflationsrate ausrichtet. Spätestens seit der Euro-Einführung hat
die Wissenschaft akzeptiert, dass es einen Unterschied zwischen
statistischer und gefühlter Inflation gibt. Steigt der Preis für
Äpfel, Kartoffeln oder Fleisch, so trifft dies den, der vom kargen
Lohn vielleicht 80 Prozent für Wohnungsmiete und Nahrung ausgeben
muss, viel mehr als den, der von seinem Gehalt nur 20 Prozent für das
Lebensnotwendige ausgibt. Umgekehrt kümmert es den Hartz-IV-Empfänger
nicht, wenn der Goldpreis steigt. Das Bild lässt sich auch auf die
globale Ebene übertragen: Während man in Europa noch rätselt, ob es
die Inflation überhaupt gibt, hungern in Südasien schon die Ärmsten,
weil sie ihren Reis nicht mehr bezahlen können. Anders als die
Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg bedeuten vier Prozent
Preissteigerung heute nicht das Aus für die Wirtschaft. Doch die
Gefahr liegt in der Gewöhnung. Nichts deutet darauf hin, dass die
Verteuerung bei Lebensmitteln und Rohstoffen in absehbarer Zeit
abklingt. Dazu ist der Energiehunger nicht nur in China einfach zu
groß.

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