Zu den blutigsten und grausamsten Kriegen der
Geschichte gehören Bürgerkriege, treffender bezeichnet als
Bruderkriege. Ihre Verletzungen und emotionalen Verwüstungen, ihre
Wunden sind so tief und prägen das kollektive Bewußtsein derart, dass
Vergebung und Versöhnung nicht selten über die menschlichen Kräfte
gehen. Meist haben sie noch symbolische Orte des Grauens, etwa
Srebrenica in Bosnien oder Oradour in Frankreich oder auch Ghoma im
Kongo. In Libyen wird man sich, in diesem Sinn, den Namen Misrata
merken. Misrata wird, mehr noch als Bengasi, zum Symbol des libyschen
Bruderkriegs. Dort herrscht das Grauen, dort nehmen Heckenschützen
Frauen und Kinder ins Visier und dort setzen die Söldner des
Diktators Gaddafi jetzt auch international geächtete Streubomben
gegen die Zivilbevölkerung ein. Es ist ein totaler Krieg, den der
Despot gegen unschuldige Menschen führt. Diese Totalität bestärkt die
Aufständischen in ihrer unversöhnlichen Haltung gegenüber dem
Diktator. Eine politische Lösung, wie Moskau sie anstrebt, ist jetzt
in weite Ferne gerückt. Auch die Nato fühlt sich in ihrer Haltung
bestätigt und legt sogar noch eins drauf: Nicht nur die Resolution
der Uno, die den Schutz der Bevölkerung vorsieht, soll massiv
angewandt, sondern das Regime selbst soll gestürzt werden. »Seine
Zeit ist abgelaufen«, sagt Nato-Generalsekretär Rasmussen über
Gaddafi, »er muss gehen«. Hinter ihm und dieser Äußerung stehen Paris
und London, die die Hauptlast der Angriffe tragen, und eingeschränkt
auch Berlin und Washington, die einen merkwürdigen Zick-Zack-Kurs
fahren. Die deutsche Außenpolitik ist derzeit in der Tat kaum
jemandem zu erklären. Sicher ist, dass sie zu einer Neuauflage der
entente cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien und damit
auch zu einer Entfremdung Deutschlands von diesen beiden Veto-Mächten
im Sicherheitsrat der UNO, mithin zu einer Entfernung vom Ziel eines
permanenten Sitzes in diesem Gremium führt. Schwerwiegender jedoch
könnte werden, dass Berlin sich selbst auch innerhalb der Nato als
unsicherer Kantonist geriert und damit an Gewicht verliert. Das mag
der zaudernden Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem
ahnungslos-unsicheren Schwanken von Außenminister Guido Westerwelle
entsprechen. Der künftigen Rolle der Nato entspricht es nicht. Die
hat sich mit der eindeutigen Positionierung auf der Seite der
libyschen Freiheitskämpfer und gegen ein despotisches Regime auch
über den Bürgerkrieg hinaus als eine Art Weltpolizei für
Menschenrechte und Freiheit präsentiert. Natürlich kann sie nicht
gegen jede Diktatur vorgehen, man denke nur an China. Aber da, wo die
Verhältnisse eindeutig, die Interessen anderer Großmächte (China,
Russland) nicht unmittelbar berührt und die Uno-Gremien eingebunden
sind, da kann sie handeln. Und die Deutschen können, wie viele kleine
Länder sagen, wir durften zuschauen.
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