Neben Frankreich ist Polen unser wichtigster
Nachbar. Wird dort ein Präsident gewählt, werden auch unsere
Interessen berührt. Die deutsch-polnischen Beziehungen wurden lange
von Spannungen und Konflikten belastet. Heute bietet sich ein
positives Bild: Polen geht auf Deutschland und Europa zu, zeigt
wirtschaftliche Stärke und ist dabei, den Tunnelblick der
ewig-gestrigen Nationalisten auszublenden. Dennoch bleibt das Land
gespalten. Die Präsidentschaftskandidaten Komorowski und Kaczynski
verkörpern einen heftigen Richtungskampf. Zwei unversöhnliche
Weltbilder konkurrieren mit einander: Komorowski, der das liberale,
progressive und proeuropäische Polen repräsentiert – und Kaczynski,
der die konservativen, erzkatholischen und nationalistischen Wähler
bedient. Komorowski steht Premierminister Tusk nahe – ein Freund der
Deutschen, der EU und der Einbindung Polens in die westlichen
Strukturen. Komorowski hat den polnischen Nato-Beitritt gefördert; er
kennt viele deutsche Politiker und gilt bei Nato-Partnern als
zuverlässig und solide. Seine Präsidentschaft wäre ein positives
Signal für die deutsch-polnischen Beziehungen.
Präsidentschaftskandidat Jaroslaw Kaczynski war bereits
Premierminister und verärgerte damals viele Europäer und Russen. Er
lehnte den raschen EU-Beitritt ab, wollte die umfassende
Privatisierung verhindern und widersetzte sich einem Ausgleich mit
Russland. Heute klingen seine Töne gemäßigter: Ein »neuer« Kaczynski
ist entstanden – ein Kandidat des Ausgleichs und der Versöhnung. Nun
wettert er nicht mehr gegen »russischen Imperialismus« und »deutschen
Revanchismus«, sondern lobt die deutsche Wirtschaftspolitik und sucht
Annäherung an Russland. Dieser Sinneswandel wurde angeblich durch den
tragischen Tod seines Zwillingsbruders ausgelöst. Deutschland kann
der polnischen Präsidentschaftswahl gelassen entgegen sehen: Beide
Kandidaten sind uns recht. Der progressive Komorowski würde die
deutsch-polnischen Beziehungen vertiefen, der angeblich
erzkonservative Kaczynski zeigt sich moderat und europafreundlich.
Der innerpolnische Richtungskampf wird zwar nicht beendet, doch die
ewiggestrigen Nationalisten sind in der Defensive. Das Land zeigt
sich partnerschaftsfähig und zukunftsorientiert. Polens moderner
Geist lässt sich an einem Plakat demonstrieren, das die Inszenierung
der Schlacht von Tannenberg am 15. Juli annonciert und an den Sieg
des polnisch-litauischen Heeres über den Deutschen Ritterorden 1410
erinnert: »Die Kreuzritter sind es leid, immer nur zu verlieren;
deswegen will man sie im nächsten Jahr siegen lassen«. Hier wird ein
nationaler Siegesmythos überwunden und die historische Wucht der
Schlacht von Tannenberg humorvoll entschärft. Mit diesem
ironisch-distanzierten Geist ist Polen endgültig im heutigen Europa
angekommen.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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