Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur rot-grünen Schulpolitik

Das ist eine äußerst dürftige Zwischenbilanz für
die NRW-Landesregierung: Sowohl die gebetsmühlenartig angepriesene
Gemeinschaftsschule als auch das neunjährige Gymnasium (G9) entpuppen
sich im ersten Alltagstest als Rohrkrepierer. Immerhin ist so jede
Sorge unbegründet, dass der Begriff des Schulversuchs überdehnt
werden könnte. Doch freuen kann das niemanden im rot-grünen Lager.
Kein Wunder, dass Schulministerin Sylvia Löhrmann auf Tauchstation
geht. Womöglich hofft die Grüne im Amt der stellvertretenden
Ministerpräsidentin ja auf ein Weihnachtswunder und die große
Trendwende bis zum Meldeschluss Ende dieses Jahres. Glauben muss man
das nicht. Eher schon wird deutlich, dass sich die rot-grüne
Landesregierung ihrer Sache doch nicht mehr so ganz sicher zu sein
scheint. Das hat zuletzt bereits Löhrmanns Rückgriff auf den
Hausaufgabenerlass ihrer Amtsvorgängerin Barbara Sommer gezeigt. Der
Versuch, das G8 zu optimieren, ist eben auch eine Fortschreibung
schwarz-gelber Bildungspolitik. Am Ende allerdings verblassen alle
parteipolitischen Ränkespiele vor dem Bildungsauftrag, den Schule zu
erfüllen hat. Und da steht die Behauptung, dass längeres gemeinsames
Lernen per se zu besseren Bildungsergebnissen unserer Kinder und
Jugendlichen führt, nach wie vor unbewiesen im Raum. Das sollten
alle, die mit der flächendeckenden Einrichtung von
Gemeinschaftsschulen die Schullandschaft umkrempeln wollen, stets
bedenken. Das mangelnde Interesse der Nordrhein-Westfalen macht die
Sache nun nur noch schlimmer. Plötzlich steht das rot-grüne Mantra
infrage, nach dem sich die übergroße Mehrheit der Lehrer und Eltern
doch nichts sehnlicher wünsche als die Gemeinschaftsschule. Fakt
ist: Lehrer wünschen sich nichts sehnlicher als adäquate
Arbeitsbedingungen, und Eltern wünschen sich nichts sehnlicher als
adäquate Lernbedingungen für ihren Nachwuchs. Wer den Betrieb Schule
nachhaltig verbessern will, sollte versuchen, beide Wünsche zu
erfüllen. Dazu gehört sehr viel: Die Schulen brauchen mehr Freiraum.
Nur wer Verantwortung trägt, kann auch verantwortlich gemacht werden.
Die Lehrerausbildung braucht mehr Aufmerksamkeit, und der Lehrerberuf
hat mehr Respekt verdient. Andernfalls werden die Besten den Weg
hinters Pult nicht finden. All das ist harte Alltagsarbeit, die kaum
rasche Erfolge bringen wird und selten für Schlagzeilen taugt. Aber
diese Alltagsarbeit ist allemal wertvoller, als im Rhythmus der
Regierungswechsel die Strukturfrage zu stellen, so alle Beteiligten
zu verunsichern und am Ende – selbst mit bester pädagogischer Absicht
– ein heilloses Durcheinander anzurichten. Die Versuchung dazu ist
groß, weil Bildung Ländersache ist und sich folglich auf kaum einem
anderen Feld so trefflich politisieren lässt. Auch Rot-Grün ist in
höchster Gefahr, dieser Verlockung zu erliegen. Es sei denn, die
beiden Schulversuche machen die Landesregierung klug.

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