Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Schuldenkrise

Der europäische Streit ums Geld hat den
Europagedanken beschädigt. Das Gezänk um Euro-Krise und Schulden
erschüttert den Glauben an den politischen und kulturellen Wert der
europäischen Einheit. Denn Europäische Union und Euro sind mehr als
eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft und Währungsunion: Sie sind der
Garant für Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale
Sicherheit und Freiheit. Es wäre fatal, diese Werte zu missachten.
Die Väter der EU – Konrad Adenauer, Jean Monnet, Robert Schuman,
Helmut Schmidt und Helmut Kohl – hatten den Europagedanken
verinnerlicht: Europa war ihnen moralische Pflicht und politisches
Ziel. Heutige Politiker und Kommentatoren verfangen sich im
bürokratischen und finanzpolitischen Gestrüpp. Sie denken primär ans
Geld. Es genügt ihnen, den Euro, Griechenland, Irland und Portugal zu
retten; die eigentlichen europäischen Ideale werden dabei jedoch gern
übergangen. Doch Europa braucht eine Wiedergeburt des
gesamteuropäischen Geistes: Volkssouveränität, Demokratie,
Gewaltenteilung und Freiheitsrechte sind europäische Werte, die
Weltkriege, Kolonialismus, Faschismus und Totalitarismus überlebt
haben. Wer sie vernachlässigt oder als selbstverständlich hinnimmt,
verschmäht die Lehren der Geschichte. Und wer Europa für zu
verschiedenartig und unregierbar hält, kapituliert vor einem
Provinzialismus, der einst Schlagbäume zwischen Bückeburg
(Schaumburg-Lippe) und Minden (Preußen) aufstellen ließ. Unsere
europäische Einheit hat sich trotz aller Kriege, Ideologien und
nationalen Unterschiede entfaltet. Einigkeit und Recht und Freiheit
sind gesamteuropäische Ideen. Ohne die antiken Vordenker der
Demokratie, ohne die europäischen Rechtsphilosophen gäbe es heute
keine demokratische Grundordnung, die alle EU-Mitglieder verbindet.
»Die Europäische Union liegt in unserem patriotischen Interesse«,
schreibt Helmut Schmidt. Recht hat er. Wer diese Union in »gute« und
»schlechte« Europäer aufteilen will, denkt engstirnig und kleinlich.
Das wäre ein verhängnisvoller Rückschritt. Auch die Solidarität ist
ein europäischer Wert – Solidarität mit Kranken, Armen und Schwachen.
Unsere sozialen Netze sind vorbildlich. Die soziale Marktwirtschaft
unterscheidet Europa von China, Russland und zum Teil auch Amerika.
Die europäische Solidargemeinschaft fühlt sich somit verpflichtet,
schwachen EU-Mitgliedern zu helfen. Das sollte selbstverständlich
sein, denn nur so können wir unseren Werten treu bleiben. »Der Bau
des Hauses Europa ist die beste Garantie für Frieden und Freiheit im
kommenden Jahrhundert«, hat Helmut Kohl 1998 verkündet. Dieser
Gedanke motiviert, die europäischen Werte zu schätzen und die Einheit
trotz Euro-Streit und Schulden-Krise hochzuhalten. Die Wiederbelebung
des europäischen Geistes erlaubt uns dann, der nächsten Generation
ein freies, friedliches und solidarisches Europa zu übergeben.

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Andreas Kolesch
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