Diese Zahlen verleihen den Gegnern der Kalten
Progression kräftig Rückenwind. Und das ausgerechnet jetzt, wo die
CDU eine Kampfabstimmung darüber beim Parteitag mit einem
wachsweichen Kompromiss umschiffte, der unter dem Vorbehalt der
Bezahlbarkeit steht. Nur wenn 2017 »genügend« Geld da ist, wird der
Einstieg in den Abbau steigender Steuerbelastung gemacht. Dabei
kassiert der Staat so viel wie noch nie von seinen Bürgern. Das gilt
nicht nur nach den OECD-Zahlen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung
der Bundesrepublik, sondern nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums
auch absolut.
640 870 000 000 Euro – in Kurzform 640,87 Milliarden – sollen dem
Schätzerkreis zufolge am Jahresende aus den verschiedensten
Steuerquellen in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen geflossen
sein. Zum Vergleich: 2009 waren es »nur« 524 Milliarden, vor zehn
Jahren sogar vergleichsweise bescheidene 443 Milliarden. Ein sattes
Plus von fast 45 Prozent gegenüber 2004 – wer hätte das nicht gerne
auf seinem Lohnzettel stehen?!
Den fleißigen Steuer- und Beitragszahler lässt die steigende
Abgabenlast in Verbindung mit den vor allem auf Privathaushalte
abgewälzten Kosten der Energiewende längst an der Gerechtigkeit
zweifeln. Für die Politik sollten die Rekorde bei Steuereinnahmen und
Abgabenquote das Signal sein, endlich zu handeln. Und das darf beim
besten Willen nicht nur der Ansatz der Sozialdemokraten und Linken
sein, die mit einer Umverteilung von oben nach unten das
Wirtschaftswachstum ankurbeln wollen. »Umverteilung stärkt uns alle«,
gab SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel die Losung aus.
Es ist an der Zeit, ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen,
nicht nur Geringverdiener mit dem Mindestlohn und die 7,4 Millionen
Leistungsempfänger in der Republik in den Blick zu nehmen. Auch die
oft und gerne als »Leistungsträger der Gesellschaft« Titulierten,
womit verklausuliert wohl nur deren Eigenschaft als Melkkuh des
Staates gemeint ist, müssen endlich von den Wachstumsschüben
profitieren. Das Gegenteil ist der Fall.
Besonders der klassische Facharbeiter, der viel leistet und dafür
auch überdurchschnittlich verdient, zahlt immer wieder die Zeche. Ihn
treffen neben der Kalten Steuerprogression auch noch die eiskalt
steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Jedes Jahr erhöht sich die
Bemessungsgrundlage – und damit automatisch die Beiträge für Renten-,
Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Ein Stück weit ist das zu
Recht dem Prinzip der Solidargemeinschaft geschuldet – aber irgendwo
hat alles seine Grenzen. Mit dieser Politik über Jahre ist die einst
so starke Mittelschicht bedrohlich in die Bredouille geraten.
Die Kalte Progression ist eine Stellschraube für mehr
Gerechtigkeit, eine andere ein Steuertarif für Familien mit Kindern,
wo nahezu garantiert ist, dass jeder freie Euro in den Konsum fließt.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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