Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Suche nach der EHEC-Quelle

Wenn Lebensmittel lebensgefährlich werden, ist
schnelle Aufklärung gefragt. Erst Gurken, dann Sprossen: die
Verwirrung ist perfekt und Politik und Wissenschaft sind so ratlos
wie Verbraucher. Kritik müssen sich beide Seiten gefallen lassen. Um
voreilige Warnungen zu verhindern, unter deren Konsequenzen ganze
Berufszweige leiden, müssen die Informationen in einer Hand
zusammenlaufen und gebündelt veröffentlicht werden.
Verbraucherministerin Ilse Aigner und Gesundheitsminister Daniel Bahr
haben in Summe zu viele Hände und fallen vor allem durch
Zurückhaltung auf. Trotzdem muss fairerweise eingestanden werden,
dass die Suche nach einem mikroskopisch kleinen Verbrecher die
Möglichkeiten der Ermittler limitiert. Sie können nicht jeder Erbse
einen Unbedenklichkeitsstempel verpassen. Das macht scheinbar
verzweifelte Methoden plausibel – wie das Ausschlussverfahren des
Robert-Koch-Instituts, das Tomaten, Gurken und Salat als gemeinsamen
Nenner ermittelte. Allerdings drängt sich die Frage auf, warum
Sprossen nicht früher untersucht wurden. Das Bundesinstitut für
Risikobewertung hat schon 2010 vor der hohen Keimbelastung gewarnt.
Die tonnenweise Vernichtung möglicherweise unbelasteter
Nahrungsmittel, die die EU hohe Entschädigungssummen kostet, ist vor
diesem Hintergrund doppelt schmerzhaft. Fest steht: Dieser wie viele
andere Vorfälle verseuchter Nahrung sind eine Folge der
Globalisierung des Lebensmittelmarktes. Hier trägt auch der
Verbraucher Verantwortung. Solange er auch im Winter Erdbeeren und im
Sommer Orangen essen will, verbreiten sich mit der Ware auch Keime
über Länder und Kontinente. Und so verständlich es ist, dass
einkommensschwache oder Großfamilien Tomaten lieber für 99 Cent im
Discounter als für 3,99 Euro beim Biobauern kaufen, sind
Qualitätseinbußen in einer auf Preisdumping bedachten Produktions-
und Transportkette unvermeidbar. Was nach der akuten EHEC-Welle
bleiben müsste, ist die Diskussion über die Qualität der
Ernährungsketten. Dabei ist selbst das Bio-Segment nur wegen der
Rückverfolgbarkeit nicht vor Epidemien gefeit, wie die verdächtigen
Sprossen aus Niedersachsen zeigen. Auch Bio kommt mittlerweile aus
Spanien, auch hier tragen globale Handelsketten zur Verbreitung des
Problems bei. Spannend sind die – meist grünen – Stimmen nach einer
Stärkung lokaler und regionaler Vermarktung. Zurück zu
Nahrungsmitteln aus der Nachbarschaft: Angesichts lebensbedrohlicher
Lebensmittel ist dieser Schritt rückwärts ein zunehmend attraktives
Zukunftsmodell. In dieser idealen Welt kauften wir Tomaten nur im
Sommer vom Feld im eigenen Ort. Der Sicherheitsgewinn ginge freilich
auf Kosten der Vielfalt und günstiger Preise. Wer Marken auf der Haut
trägt, sollte umso qualitätsbewusster bei der Wahl der Stoffe sein,
die über die Ernährung zum eigenen Fleisch und Blut werden. Aber
dieses kurzzeitige Problembewusstsein wird beim Verbraucher wohl mit
der Epidemie abflachen.

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Andreas Kolesch
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