Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Tarifeinheit

Vor wenigen Wochen das umstrittene
milliardenteure Rentenpaket, jetzt ein Gesetz zur Modifizierung des
Streikrechts – Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sorgt mit
der Großen Koalition im Rücken für reichlich Wirbel. Diesmal aber
dürfte sie mit ihrer Initiative zur so genannten Tarifautonomie
insbesondere im Arbeitgeberlager auf Zustimmung stoßen, geht es doch
darum, dem Machtstreben von kleineren Berufsgewerkschaften Grenzen zu
setzen. Die jüngsten Streiks der Lokführergewerkschaft GDL sowie der
Pilotenvereinigung Cockpit (VC) haben den Volkszorn erregt. Der GDL
geht es um mehr Einfluss gegenüber der größeren Eisenbahn- und
Verkehrsgewerkschaft. Anders verhält es sich bei den Piloten: Sie
kämpfen um die Beibehaltung ihrer lukrativen Vorruhestandsregelung,
der Rente mit 55. Der Bürger kann bei beiden Konflikten wahlweise
ungläubig oder verärgert mit dem Kopf schütteln.

Und obwohl es so aussieht, ist Nahles– Gesetzentwurf nicht als
unmittelbare Reaktion auf diese Streiks zu sehen. Vielmehr war der
Wille dazu bereits zuvor im Koalitionsvertrag niedergeschrieben.
Auslöser für den gestern vorgelegten Entwurf ist das Urteil des
Bundesarbeitsgerichtes aus dem Jahr 2010. Die Richter stärkten damals
Berufsgewerkschaften. Es war das Aus der bis dato geltenden Maxime
»Ein Unternehmen, ein Tarifvertrag«.

Genau dahin will Nahles nun zurück. Künftig soll allein die
mitgliederstärkste Gewerkschaft innerhalb eines Betriebes
Tarifverträge abschließen. Mit einem solchen Gesetz würde es Streiks
der GDL vermutlich nicht mehr geben, wohl aber Arbeitsniederlegungen
bei den Piloten. Denn dort – und das ist der Unterschied – legt sich
die größere Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nicht mit der
Pilotenvereinigung an. Piloten werden also auch künftig streiken
können.

Kritiker sehen das Streikrecht in Gefahr. Die Chefs der
Berufsgewerkschaften wie Claus Weselsky von der GDL und Rudolf Henke
vom Marburger Bund der Klinikärzte haben bereits Widerstand
angekündigt. Für Gerichte wird es viel zu tun geben. Nahles dürfte
sich darüber im klaren sein, dass sie sich mit ihrem
Tarifeinheitsgesetz auf dünnes Eis begibt. Sie darf das Streikrecht
nicht eindämmen – es ist von der Verfassung gedeckt. Und es ist Teil
unserer sozialen Marktwirtschaft, wenn es darum geht, möglichst viele
Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Erfolgen teilhaben zu lassen.

Die GDL missbraucht das Streikrecht für ihren Machtkampf.
Gewerkschaftsrivalitäten aber sollten intern ausgetragen werden und
nicht auf dem Rücken der Allgemeinheit. Dafür haben weder Pendler und
Reisende Verständnis noch die direkt oder indirekt geschädigten
Unternehmen. Genau hier setzt Nahles– Hebel an. Die größeren
Gewerkschaften werden gestärkt. Bei Splittergewerkschaften wird die
Hürde für einen Arbeitskampf höher. Ob dies den sozialen Frieden
beeinträchtigt, ist offen. Zunächst einmal klingt das Gesetz
vernünftig.

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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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