Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Tarifrunde 2013

Was passiert, wenn man beim Autofahren
herunterschaltet und gleichzeitig auf das Gaspedal drückt? Der Motor
heult auf, verbraucht unnötig viel Benzin, und im schlimmsten Fall
kommt das Auto ins Schlingern. Auch wenn manche Experten wieder etwas
mehr Optimismus schöpfen: Zunächst wird die Konjunktur in Deutschland
2013 weiter entschleunigen – sogar bis an die Grenze zur Stagnation.
Das ist normalerweise nicht die Zeit, in der Tarifverhandlungen mit
einem Schluck aus der Pulle für Arbeitnehmer enden. Trotzdem könnte
die nächste Runde mit Abschlüssen so um die drei Prozent enden – und
damit spürbar über der Inflationsrate. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen haben sich die Löhne – im Vergleich zu den
Unternehmensgewinnen und Managergehältern – in den vergangenen Jahren
in Deutschland eher moderat entwickelt. Die Gewerkschaften können
also auf etwas Verständnis hoffen, wenn sie argumentieren, die
Beschäftigten hätten Nachholbedarf. Das gilt selbst für den Teil der
Wirtschaft, der noch weitgehend vom Binnenmarkt abhängig ist.
Allerdings endet dessen Verständnis meistens sofort, wenn auch in der
eigenen Branche die Tarifverhandlungen anstehen. Alle, die mit dem
Bedarf der Beschäftigten argumentieren, können außerdem ins Feld
führen, dass die offizielle Inflationsrate nicht die ganze Wahrheit
spiegelt. Insbesondere die Energiepreise drücken bei der breiten
Bevölkerung in einer Weise auf das Portemonnaie, dass dort keine Luft
mehr ist, die noch entweichen könnte. Auch mit einer Lohnerhöhung von
drei Prozent brächen für die Arbeitnehmer keine goldenen Zeiten an.
Eine Entspannung bei den Energiepreisen ist jedenfalls auf sehr lange
Zeit nicht in Sicht. Das letzte Argument für eine eher
arbeitnehmerfreundliche Tarifrunde hat in dieser Reihe zwar keinen
volkswirtschaftlichen Rang, ist aber gerade deshalb von besonderer
Bedeutung: Im Herbst 2013 wird der Bundestag neu gewählt. Und in
solchen Zeiten entdecken selbst Politiker, die normalerweise der
Wirtschaft verbunden sind, ihr Herz für die Beschäftigten. Da haben
sich in der Vergangenheit selbst FDP-Minister mit den Gewerkschaften
verbündet. Gleichwohl verbietet es sich, mit voller Kraft auf das
Gaspedal zu drücken. Wunder gibt es zwar immer wieder, aber in der
Wirtschaft haben sie meist einen ganz realen Hintergrund. So fußt das
deutsche »Jobwunder« natürlich auch auf dem Wettbewerbsvorteil, den
niedrige Lohnerhöhungen in der Vergangenheit der Exportwirtschaft
zugetragen haben. Sie würden durch einen echten Schluck aus der Pulle
wieder gefährdet. Die Folgen der Finanzkrise sind nicht
ausgestanden. Und wie sich die Belastungen der Staatsschulden noch
auf die reale Wirtschaft in den Euro-Ländern auswirken werden, kann
kein Ökonom genau vorhersagen. In jedem Fall stehen die Unternehmen
2013 vor Herausforderungen, für die sie Tarifabschlüsse brauchen, mit
denen sie wirtschaften können.

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