Wie können sich verschuldete Staaten sanieren?
Zwei Wege bieten sich an: Steuern erhöhen und Ausgaben kürzen. Doch
leider wagt kaum ein Politiker, höhere Steuern zu fordern. Lieber
verteilt er Wahlgeschenke und kämpft um den Machterhalt. Hier
blockiert das demokratische System den Sieg der Vernunft.
In den USA ist dieses Problem besonders groß, denn Amerikaner
hassen Steuern. Obama wird somit für die große Mehrheit keine Steuern
erhöhen und eher die Ausgaben kürzen. Das kommt gut an, denn
Staatsausgaben gelten oft als überflüssig und verschwenderisch. Nun
aber geschieht etwas Revolutionäres: Obama kündigt nun doch eine
massive Steuererhöhung an – allerdings nur für die Superreichen. In
seinem Bericht zur Lage der Nation verspricht er, die Megamillionäre
vermehrt zur Kasse zu bitten. Die Sätze für die Vermögenssteuer seien
zu gering. Es gehe nicht an, dass die Sekretärin des Milliardärs
Warren Buffet höher besteuert werde als die Superreichen. Washington
solle aufhören, »Millionäre zu subventionieren«.
Obama hat offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft getroffen,
denn die sozialen Gegensätze werden immer größer: Während die
Mittelschicht schrumpft, werden die Reichen reicher und die Armen
ärmer. Die neue Steuerpolitik sei kein Klassenkampf, sondern gesunder
Menschenverstand, ruft Obama unter tosendem Beifall. Viele Amerikaner
halten das heutige Steuersystem für ungerecht und befürworten den
Kurs ihres Präsidenten. Und da die meisten Wähler keine Millionäre
sind, weiß Obama die Mehrheit hinter sich.
Im Bericht zur Lage der Nation zeigt sich Obama kämpferisch und
entschlossen, die Mittelschicht und den kleinen Mann zu fördern. Dies
sind seine Wähler – nicht die Investmentbanker, Topmanager und
Millionäre. Er hat den Versuch aufgegeben, alle Amerikaner vertreten
zu wollen. Der qualvolle Konflikt zwischen Regierung und Opposition
hat seinen Traum vernichtet, ein Versöhner und Überbrücker von
Klassen, Rassen und Kulturen zu sein. Der heutige Obama kämpft primär
für soziale Gerechtigkeit, für Gleichheit und Freiheit von
wirtschaftlicher Not. Er zögert nicht mehr, als Spalter kritisiert zu
werden. Der scharf argumentierende Obama passt in die politische
Kultur Amerikas, wo Wahlkampf als ziviler Bürgerkrieg geführt wird.
Jetzt werden die Wohlhabenden nicht mehr geschont, die Zeit der
Kompromisse ist vorbei. Der diesjährige Wahlkampf wird zur heftigen
ideologischen Konfrontation.
Trotz seiner klugen Taktik weiß Obama, dass die Wirtschaft sein
politisches Schicksal besiegelt: keine Wiederwahl ohne Wachstum und
Vollbeschäftigung. Doch hier entscheidet die gefühlte Konjunktur:
Wenn nicht, schlägt das Pendel wieder nach rechts. Dann wäre dieser
Bericht zur Lage der Nation Obamas letzte Rede vor beiden Häusern des
Kongresses gewesen.
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