Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Vorratsdatenspeicherung

Fühlen Sie sich von den »Gotteskriegern« im
Alltag bedroht? Haben Sie Angst, dass eine Bombe explodiert, wenn Sie
beim Bäcker in Paderborn, Lübbecke oder Rahden Brötchen holen? Wohl
kaum! Die wahren Risiken lauern eher im Straßenverkehr oder im
persönlichen Lebenswandel. Wer raucht, zu fett isst und sich wenig
bewegt, beschwört Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs herauf.

Wer jetzt denkt, das hat doch nichts mit der Diskussion über die
Vorratsdatenspeicherung zu tun, irrt. Das systematische Aufbewahren
unserer Telefon- und Internetdaten bedeutet einen erheblichen
Eingriff in die Privatsphäre und Freiheit. Vorratsdatenspeicherung
kann also nur dann gerechtfertigt sein, wenn der militante Islamismus
bei uns eine massive Gefahr darstellt, von der Bevölkerung auch so
empfunden wird und wenn sie nachgewiesenermaßen Anschlägen vorbeugen
kann.

Alle drei Voraussetzungen treffen nicht zu. Gott sei Dank hat es
zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen noch nichts
Vergleichbares wie in Paris gegeben. Deutschland gilt als eines der
sichersten Länder, die Behörden tauschen sich international über
sogenannte »Gefährder« aus und greifen auch zu, so wie jüngst in
Dinslaken, Wolfsburg, Berlin und Herford. Die Deutschen können sich
in den Fußgängerzonen aufhalten, zu Konzerten und Fußballspielen
strömen, ohne mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Nur 36 Prozent
der Menschen, die das ZDF jüngst für sein »Politbarometer« befragte,
sagten, der Schutz gegen den Terror sei mangelhaft.

Hinzu kommt: Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel.
In Frankreich gibt es sie schon länger, den Anschlag auf das
Satiremagazin »Charlie Hebdo« und den jüdischen Supermarkt in Paris
hat sie nicht verhindert.

Jedesmal nach schockierenden Anschlägen ist reflexartig der Ruf
nach mehr Sicherheitsmaßnahmen zu hören. Es gebe keine Freiheit ohne
Sicherheit, heißt es dann, zum Beispiel zuletzt aus dem Mund des
ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily. Der Punkt ist nur:
Sicherheit darf sich nicht verselbständigen – so wie in den USA. Nach
dem traumatischen 11. September 2001, als islamistische Terroristen
vollbesetzte Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers in
New York lenkten, entwickelten sich die Vereinigten Staaten von
Amerika in Richtung eines Überwachungsstaats.

Fazit: Für die Vorratsdatenspeicherung spricht wenig, dagegen
viel. Sinnvoller wäre es, Polizei und Sicherheitsbehörden personell
zu verstärken. Es ist doch ein schlechter Witz, dass
Telefonmitschnitte Verdächtiger nicht ausgewertet werden können, weil
Dolmetscher fehlen. Übrigens: Frankreich, das Land mit der
Vorratsdatenspeicherung, setzt jetzt ausdrücklich auf Manpower. In
den nächsten drei Jahren sollen 2700 Stellen für die Terrorabwehr
geschaffen werden. . .

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261