Kein Arbeitsloser in Sicht. Und die
Handelsbilanzkurve schießt durch die Decke. Super. Schon die Jüngsten
sind voll begeistert: Schule wird ins Notebook ausgelagert, jeder
macht Abi, studiert BWL und hilft dann an der Handelsbilanzkurve zu
schrauben. Deutschland ist, vielleicht mit Ausnahme von Chemnitz,
sehr gut aufgestellt. Und so könnte sich der deutsche Michel die
Zipfelmütze über Aug– und Ohr ziehen – doch da fällt der letzte
Blick vorm Schlafengehen auf die Uhr, und die Ruhe ist dahin: Dieses
ewige Hin und Her, mal morgens hell, mal abends dunkel, mal
andersrum, muss auf jeden Fall geregelt, will heißen:
vereinheitlicht, werden. Und während das EU-Ausland längst dem
nächsten Tag entgegenschnarcht, brütet der Michel noch über MEZ und
MESZ. Nur 1,6 Millionen (von 430 Millionen) nichtdeutsche EU-Bürger
haben an der Abstimmung über die Zeitumstellung teilgenommen: 3,7
Promille. Den paar Interessierten in Paris und Wien, Rom und Madrid
aber stehen drei Millionen (von 82 Millionen) Deutsche gegenüber:
3,7 Prozent. Wir Deutschen sind zehnmal so interessiert an Hell und
Dunkel wie alle anderen zusammen. Woran liegt das? Vermutlich daran,
dass wir, derweil Engländer, Franzosen & Co. abwarten und Tee
trinken (oder Wein), so furchtbar gerne denken. Wir denken, dass der
Jetlag nach unseren Urlaubsfernreisen absolut egal ist, während
uns sein behördlich verordnetes Pendant in März und Oktober echt
umbringt. Wir denken auch, dass dem Hahn auf dem Mist das Krähen
vergeht, wenn wir ihm seine Körner heute nach MEZ, morgen nach MESZ
hinwerfen. Wir denken, dass wir das ganze Jahr über abends im Hellen
beim Hellen sitzen könnten, wenn wir ewig Sommerzeit hätten. Und wir
denken, dass das Büro für Technikfolgenabschätzung (das es wirklich
gibt) Quatsch redet, wenn es verkündet: »Es fehlt an Nachweisen für
negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit,
die tatsächlich auf die Zeitumstellung(en) zurückzuführen sind.« So
gesehen ist uns die Handelsbilanzkurve ein Rätsel. Irgendwer muss sie
doch nach oben drücken, während 3,7 Prozent von uns nichts Besseres
zu tun haben, als über die Zeit zu räsonnieren.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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