Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zum Streit um den Solidarpakt

Kaum ist die rot-grüne Landesregierung am
Haushalt 2012 gescheitert, da nehmen sich vier SPD-Oberbürgermeister
aus dem Ruhrgebiet den Solidarpakt vor. Alles nur Zufall? Wohl kaum.
Vielmehr dürfte es sich bei dem Vorstoß von Dortmunds
Oberbürgermeister Ullrich Sierau (»Der Solidarpakt ist ein perverses
System«) und seinem Gelsenkirchener Kollegen Frank Baranowski (»Die
Not ist heute im Westen viel größer als im Osten«) um Wahlkampf
handeln. Das muss man Hannelore Kraft lassen: Die Ministerpräsidentin
und SPD-Landesvorsitzende hat ihren Laden im Griff. Ihrer höflichen
Rede vom Vortag, dass Schluss sein müsse mit der Förderung nach
Himmelsrichtung, folgte der umso kräftigere Aufschrei der
Kommunalpolitiker. Die Botschaft ist klar: Seht her, liebe Wähler,
wir kümmern uns um euch. Und warum soll es euch eigentlich schlecht
gehen, wenn im Osten die Bürgersteige vergoldet werden? An den
Sozialneid zu appellieren, hat noch immer geklappt. Ja, warum, könnte
man in der Tat fragen, wenn es denn so einfach wäre, wie Sierau und
Co. weiszumachen versuchen. Ist es aber nicht, denn so wenig wie die
gern als Beleg herangezogenen Städte Potsdam, Dresden, Jena und
Leipzig der Osten sind, so wenig sind Gelsenkirchen, Duisburg,
Oberhausen und Dortmund Nordrhein-Westfalen. Es spricht für sich,
dass es in Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ein
Sozialdemokrat ist, der die polternde Rhetorik der Genossen als das
entlarvt, was sie ist: »Zeugnis beschämender Oberflächlichkeit und
mangelnden Verständnisses innerdeutscher Solidarität«. Zum Westen
gehören eben auch glänzend dastehende Landstriche und Kommunen,
während im Osten weite Teile Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns
im Elend zu versinken drohen. Es ist richtig: Vielen Kommunen in
Deutschland geht es schlecht, manche davon sind aber an dieser
Entwicklung keineswegs unschuldig. Gleichwohl braucht die
Regionalförderung nach Auslaufen des Solidarpakts I und II im Jahr
2019 und damit drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall eine
Neuausrichtung. Die aber muss programmatischen Ansprüchen und nicht
populistischen Aussprüchen folgen. Und wenn es einer Frontstellung
bedarf, dann sicher nicht einer zwischen Ost und West, sondern
zwischen Bund auf der einen und Ländern sowie Kommunen auf der
anderen Seite. Bundesregierungen aller Couleur haben im
zurückliegenden Jahrzehnt wiederholt Mittel und Wege gefunden,
eigenes politisches Handeln Städten, Kreisen und Ländern in Rechnung
zu stellen. Das jedoch ist eine Debatte, die sich ganz gewiss nicht
an parteipolitischen Linien führen lässt und damit für einen
Wahlkampf denkbar ungeeignet ist. Den aber muss Hannelore Kraft
führen, und da ist ein klares Freund-Feind-Bild doch besser. Ganz zu
schweigen davon, dass so der eigene Umgang mit dem Geld in den
Hintergrund rückt. Nur zu gern würde Hannelore Kraft den Ruf der
»Schuldenkönigin« loswerden – »Kämpferin für Nordrhein-Westfalens
Gemeindekassen« klingt ja auch viel besser.

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