Westfalen-Blatt: Kommentar zur gescheiterten Bankenfusion

Sechs Wochen haben sie verhandelt. Nun scheint
es so, als sei außer Spesen nichts gewesen. Und trotzdem: Ganz
umsonst waren die Gespräche zwischen Deutscher Bank und Commerzbank
über eine Fusion nicht. Immerhin behielt die Vernunft Oberhand über
den Willen einiger Politiker.

Insbesondere Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und sein
Staatssekretär, der ehemalige Goldman-Sachs-Manager Jörg Kukies,
hatten die Fusion der beiden größten deutschen Privatbanken zu ihrem
Thema gemacht. Angeblich brauche die deutsche Wirtschaft einen
nationalen Champion. Dabei wäre es besser gewesen, zuerst einmal die
Unternehmer zu befragen, ob sie einer großen »Deutschen Commerzbank«
den Vorzug vor konkurrierenden Instituten gäben. Das Engagement der
SPD-Politiker überrascht darüber hinaus, weil die Fusion
Arbeitsplätze gekostet hätte. Von 30.000 Jobs war die Rede.

Auf der Habenseite sollte stehen, dass deutsche Unternehmen im
Ausland und bei der Finanzierung großer Investitionen in einem
fusionierten Institut einen vermeintlich stärkeren Partner hätten.
Solche Rechnungen, die allein auf Größe setzen, gehen selten auf. Zum
einen vergessen jene, die so argumentieren, dass Fusionen anfangs
immer erst Geld und Energien absaugen. Geld etwa wird gebraucht, um
Strukturen vom Vertrieb bis zur Elektronischen Datenverarbeitung
zusammenzuführen. Zudem müssen Mitarbeiter, die ihren Job verlieren,
und Vermieter, deren Verträge gekündigt werden, finanziell abgefunden
werden. Vor allem aber zieht die Vielfalt der Aufgaben, die mit einer
Fusion verbunden sind, oft so viel Energie ab, dass darunter andere
wichtige Aufgaben leiden. Gerade dieser Punkt gilt für die beiden
Großbanken in besonderem Maße, da beide, wenn auch unterschiedlich
ausgeprägt, mit Hausaufgaben beschäftigt sind. Diese verlangen von
der Bilanz über neue Techniken und neue Wettbewerber bis zu nicht
vollständig aufgearbeiteten Rechtsstreitigkeiten volle
Aufmerksamkeit. Hinzu kommen noch Herausforderungen aus Fusionen der
Vergangenheit – im Falle der Deutschen Bank mit der Postbank und der
Commerz- mit der Dresdner Bank.

So gesehen kam dieser Versuch einer Fusion auch zum falschen
Zeitpunkt. Ein neuer Anlauf zu einem späteren Termin und auf anderem
Weg ist trotz der grundsätzlichen Bedenken nicht ausgeschlossen. Er
sollte aus den Vorstandsetagen der Banken selbst kommen.

Bis dahin bleibt ein Risiko: der Appetit von Investoren. Sie
können spekulieren, dass die großen Anteilseigner der Deutschen Bank
– die chinesische HNA, das Emirat Qatar und der Investor Black Rock –
irgendwann gern verkaufen, um Kasse zu machen. Beim Großaktionär der
Commerzbank, dem deutschen Staat, ist die Lage nur auf den ersten
Blick anders. Wer weiß, was passiert, wenn die Steuereinnahmen mal
nicht mehr so fließen wie aktuell?

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 585-261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell