Der Flächentarif bröckelt – mit dem Risiko, dass der
soziale Kitt zwischen Betrieben und ihren Mitarbeitern schwindet.
Wenn in den vergangenen 20 Jahren der Anteil der Unternehmen, die
nach Tarif zahlen, von 60 auf 35 Prozent gesunken ist, lässt das
aufhorchen. Das erfolgreiche Modell der Sozialpartnerschaft gerät
zunehmend unter Druck.
Immer mehr Arbeitgeber klagen über hohe Tarifabschlüsse ihrer
Verhandlungsführer und steigen aus der Tarifbindung aus. Dabei
übersehen sie, dass einheitliche Tarifverträge Firmen und
Beschäftigte vor einem ruinösen Dumping-Wettbewerb um Lohnkosten
schützen. Zudem wird das Streik-Risiko unkalkulierbar, wenn jedes
Management selbst mit dem Betriebsrat den Lohn verhandelt.
Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände haben in der Vergangenheit
bewiesen, dass sie ihr Verhandlungsmandat verantwortungsvoll
einsetzen. Ein Beispiel: In der Metallindustrie regelt das
„Pforzheimer Abkommen“ Ausnahmen für kriselnde Firmen, die einen
Tarifabschluss aus wirtschaftlichen Gründen nicht mittragen können.
Unter dem wachsenden Kosten- und Renditedruck wollen sich viele
Unternehmen der Kollektiv-Verträge entledigen. Das mag in
Einzelfällen wie bei den üppigen Privilegien und Rentenzusagen der
Lufthansa nachvollziehbar sein. In „normalen“ Unternehmen sollten
Firmenchefs mit Blick auf den Fachkräftemangel aber nicht vorschnell
aus der Tarifbindung ausscheren. Wer gutes Personal benötigt, muss
bei Löhnen und Arbeitsbedingungen partnerschaftlich mit der
Belegschaft umgehen. Das dient am Ende beiden Seiten.
Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion
Telefon: 02331/9174160