Westfalenpost: Kommentar/Mittelstand erkennt die Zeichen der Zeit/Senioren sind in Betrieben verstärkt gefragt/Von Wilfried Goebels

Der Mittelstand hat die Zeichen der Zeit erkannt und
setzt verstärkt auf Mitarbeiter mit grauen Haaren. Während in jedem
zweiten Großunternehmen aufgrund der Frühverrentungen heute kein
Arbeitnehmer älter als 50 Jahre ist, greifen vorausschauende
Familienunternehmer aufgrund des Fachkräftemangels wieder auf
erfahrene Senioren zurück. Dabei hat das Ende des „Jugendwahns“ viele
Ursachen. Nicht nur die Überalterung der Gesellschaft zwingt zum
Umdenken. Auch das sinkende Rentenniveau und die Angst vor
Altersarmut treiben manchen rüstigen Rentner in den Betrieb. Nicht
jeden, der mit 65 plus noch zeitweise die Stempeluhr drückt, treiben
Leidenschaft am Beruf oder die Langeweile daheim an. Zum eigentlichen
Problem wird die starre Altersgrenze. Sinnvoll wäre ein flexibles
Renteneintrittsalter, bei dem sich der Zuverdienst zur Frührente
lohnt und Rentenbeiträge für über 65-Jährige wegfallen. Dann würden
sicher mehr Rentner gern weiterarbeiten und ihre Erfahrung an jüngere
Kollegen weitergeben. Zur Wahrheit aber gehört auch, dass viele
ältere Arbeitnehmer nach 40 Jahren Berufsstress und körperlicher
Belastung den wohlverdienten Ruhestand herbeisehnen. Bisher bleiben
Älteren, die sich nicht zum alten Eisen zählen, oft nur schlecht
bezahlte Minijobs. Kluge Familienunternehmer, die ihre langjährigen
Mitarbeiter persönlich kennen und einzuschätzen wissen, legen
schneller einen „Euro drauf“, wenn der Nachwuchs fehlt. Viele
Branchen wären ohne ihre Rentnerprofis aufgeschmissen. Dass mit der
Zunahme der geringfügigen Beschäftigung für immer mehr Menschen die
Rente allein nicht mehr zum Leben reicht, ist allerdings ein Skandal.
Bereits knapp 170 000 Beschäftigte zwischen 55 und 65 Jahren in
NRW erhalten neben dem Lohn zusätzlich Leistungen als „Aufstocker“.
Da gehört wenig Fantasie zur Prognose, dass diese Gruppe später zur
Minirente hinzuverdienen muss. Viele Arbeitnehmer sind im Alter
länger fit, gesund und aktiv – und wollen länger berufstätig bleiben.
Hier ruht eine wertvolle Ressource, die längst nicht ausgeschöpft
wird. Aber der Sozialstaat darf die nicht vergessen, die das hohe
Tempo der Leistungsgesellschaft nicht mehr mitgehen können. Auch für
sie muss der Ruhestand nach einem langen Arbeitsleben auskömmlich
sein.

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