Kraft-Kehrtwende: Regieren ohne Mehrheit Von Bodo
Zapp Sag niemals nie! Montag beschloss die Landes-SPD, dass sie
derzeit keine Minderheitsregierung mit den Grünen bilden wolle.
Mittwoch erläuterte Hannelore Kraft vor Dutzenden Journalisten in
Berlin, warum der richtige Zeitpunkt für Rot-Grün in Düsseldorf noch
nicht gekommen sei. Donnerstag heißt es: Kommandos zurück, wir tun es
doch! Es gilt das gebrochene Wort. Noch vor der Sommerpause dürfte
Nordrhein-Westfalen erstmals eine Ministerpräsidentin haben. Warum
diese spektakuläre Kehrtwende? Eine als Grund genannte
Interview-Absage von FDP-Landeschef Pinkwart an die weitere
schwarz-gelbe Bindung ist bewusst überinterpretiert und vorgeschoben.
Beleg: Die FDP werde im Landtag „einstimmig“ für den CDU-Kandidaten
als Regierungschef stimmen, sagt Pinkwart. Tatsächlich muss Hannelore
Kraft wohl nachdrücklich klar gemacht worden sein, nicht zuletzt von
den NRW-Grünen, dass sie sich mit ihrer Argumentation für eine
„Oppositionsregierung“ selbst umzingele. Und der Druck aus Berlin aus
Berlin, die Regierung Rüttgers sofort abzulösen, ist wohl übermächtig
geworden. Entscheidungen fallen vor Ort, so ist die offizielle Lesart
der Parteispitze. Tatsächlich will vor allem Sigmar Gabriel die
Gelegenheit nicht verstreichen lassen, der CDU und der Kanzlerin das
Leben schwer zu machen. Sie wolle mit Rot-Grün für stabile
Verhältnisse in NRW sorgen, sagt Frau Kraft. Richtig ist: Die
politische Lage in Nordrhein-Westfalen ist nach der Landtagswahl
alles andere als stabil. Auch weil die SPD eine große Koalition mit
der CDU rigoros ablehnt. Aber Stabilität durch eine
Minderheitsregierung, die auf Stimmen der Linken angewiesen ist? Das
ist eine zurechtgebogene, realitätsferne Sichtweise. Krafts
Äußerungen über die „nicht regierungsfähigen“ Linken sind nicht
vergessen. Ebenso nicht die Wahlkampf-Beteuerung, dass eine
Tolerierung durch die Linke nicht in Frage komme. Tatsache ist: Die
Lage ist da, schon im ersten Wahlgang kann Hannelore Kraft mit
Linksstimmen Ministerpräsidentin werden. Auch für das zentrale
Schulumbau-Projekt könnten die vom Verfassungsschutz beobachteten
Linken Mehrheitsbeschaffer sein. Man muss das nicht offen Tolerierung
nennen, praktisch läuft es darauf hinaus. Mit einem erheblichen
Druck-Potenzial im Hintergrund. Wie geht es weiter? Ob Jürgen
Rüttgers sich zur Wahl stellt, erscheint nicht sicher. Was bleibt
ihm, wenn er sich zurückzieht? Die letzten Monate waren für ihn ein
Alptraum. Dass er minimal mehr Stimmen erhielt als Frau Kraft und
die Konkurrentin ebenfalls ein schlechteres Wahlergebnis als 2006
eingefahren hat, wird kaum noch beachtet. Neigt die FDP später
vielleicht doch zu einer Ampel-Annäherung? Verliert die
Bundesregierung durch den Verlust der Bundesratsmehrheit ihre
Handlungsfähigkeit? Alles fließt, alle sind unsicher. Die
Einschätzungen sind nicht stabil. Die beste Lösung wäre eine Neuwahl,
vielleicht Anfang 2011. Klare Verhältnisse braucht dieses große Land.
Erst einmal stehen die Signale unverhofft auf Neustart. Düsseldorf
brauche einen Politikwechsel, wird gesagt. Fest steht: Auf uns warten
spannende Zeiten. Ob es gute Zeiten werden? Die Hoffnung ist
bescheiden.
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