Westfalenpost: Staatsstreich auf Raten Von Martin Korte

Zunächst einmal: Die Mehrheit der Bevölkerung in
Polen steht offensichtlich hinter ihrer Regierung. Der Rechtsruck in
unserem Nachbarland ist demokratisch legitimiert, ob wir das nun gut
finden oder nicht. Und trotzdem ist es natürlich bedenklich, dass die
noch gar nicht so alte Demokratie dort nun Stück für Stück demontiert
wird. Die nationalkonservative Regierung baut ihr Land im Eiltempo
um; sie macht vor dem Verfassungsgericht genauso wenig Halt wie vor
den Medien. Schon bisher galten die Fernsehsender in Polen ja nicht
gerade als linkslastig (jedenfalls aus unserer Perspektive), nun
werden sie komplett auf Regierungslinie gebracht. Als nächstes
dürften die Zeitungen dran sein. Und dann könnte jemand auf die Idee
kommen, das Internet zu regulieren. Polen ist Mitglied der EU – nicht
nur deshalb ist die aktuelle Entwicklung Besorgnis erregend. Die
Gemeinschaft kann nicht tatenlos zusehen, wie die Partei Recht und
Gerechtigkeit (PiS) mit dem Presslufthammer das Werte-Fundament der
EU bearbeitet. Ungarn und Rumänien fahren einen ähnlich
rückwärtsgewandten Kurs: Es droht nicht weniger als das
Auseinanderbrechen Europas in Ost und West. Bisher ist die Kritik aus
Brüssel folgenlos verhallt. Die EU muss also dringend den Druck
erhöhen, und zwar zweigleisig. Erstens: Sollte Polen
Gemeinschafts-Recht verletzen, muss ein Verfahren gegen das Land
eingeleitet werden. Zweitens: Brüssel sollte sich schleunigst eine
Strategie überlegen, wie die Bevölkerung davon überzeugt werden kann,
dass die Europäische Union kein Selbstzweck ist, sondern den Menschen
dient. (Das wäre übrigens für ganz Europa sinnvoll.) Sonst erleben
wir einen Staatsstreich auf Raten.

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