
Um die wachsende Weltbevölkerung künftig ernähren zu können, muss die landwirtschaftliche Produktion auf den weniger werdenden Flächen nachhaltig intensiviert und die Effizienz der Weiterverarbeitung gesteigert werden. Dabei sind ökologische, ökonomische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Den etablierten Agrarregionen kommt bei der weltweiten Umsetzung einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion die Rolle des Innovationsmotors zu. So lautet das Fazit des Kongresses „Agriglobal“, der in Hannover Premiere hatte.
Über 400 Vertreter der internationalen Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie aus Politik und Wissenschaft erörterten das Thema „Nachhaltigkeit und globale Lebensmittelproduktion – eine gemeinsame Herausforderung“. Veranstalter waren die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer und die Handwerkskammer Oldenburg. Der Club of Rome, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), das Europäische Parlament und die Kommission unterstützten die Initiative.
Im Rahmen von Vorträgen hochrangiger Vertreter der Unternehmen KWS Saat AG und Nestle AG sowie des Europäischen Parlamentes und der FAO wurden im Convention Center Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Eine Podiumsrunde mit führenden Repräsentanten der Europäischen Kommission, der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), des BUND sowie mit den Unternehmerinnen Heike Kergaßner, Putenhof Strahle, und Nancy Wimmer, MicroSolar, rundete das Programm des Kongresses ab.
Nach dem Willen der Veranstalter soll er künftig mit thematischen Schwerpunkten fortgeführt werden. Die Premiere hatten unter anderem der Niedersächsische Sparkassenverband, die Öffentlichen Versicherungen Oldenburg, die DLG und das Unternehmen Agravis als weitere Partner gefördert.
Als eine „riesengroße Herausforderung“ bezeichnete es Arendt Meyer zu Wehdel, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die Ernährung von bald zehn Milliarden Menschen auf der Welt sicherzustellen. „Da sind wir in Europa ganz besonders gefordert“, sieht er „agrarische Gunststandorte“ in der Pflicht. Angesichts der natürlichen klimatischen Gegebenheiten sei man zum Beispiel in Niedersachsen in der Lage, sehr hohe Flächenerträge zu erzielen. „Solche Regionen sind prädestiniert dafür, intensiv bewirtschaftet zu werden und in einem nur begrenzt belastbaren Ökosystem den effizienten Umgang mit den natürlichen Ressourcen weiterzuentwickeln“, folgert der Kammerpräsident. Bei gleichen Produktionsfaktoren seien die Verbesserungen für etablierte und junge Agrarregionen der Welt von Nutzen.
„Um Innovationen für eine produktive Nachhaltigkeit erreichen zu können, muss die hiesige Land- und Ernährungswirtschaft weiter produzieren“, sah sich Gert Stuke, Präsident der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer durch alle Vortragenden bestätigt.
Leider nehme das die Gesellschaft kaum oder sogar anders wahr, beklagte Meyer zu Wehdel. Missverständnisse müssten durch Dialog abgebaut werden. Dabei sei man immer bereit, Wege der Verbesserung mitzugehen. „Wir wissen aus Erfahrung, dass es nur mit einer modernen Landwirtschaft gelingen wird, mehr Ertrag auf immer weniger Boden nachhaltig zu produzieren“, so Meyer zu Wehdel.
Angesichts des weltweiten Flächenverbrauchs sprach sich auch der Präsident des Club of Rome, Anders Wijkman aus Schweden, gegen eine Extensivierung in der Agrarwirtschaft aus. Mehr mit weniger zu produzieren, sei das Credo.
Paolo De Castro, Vorsitzender des Agrarausschusses im Europäischen Parlament, forderte im seinem Vortrag ein gleichberechtigtes Nebeneinander von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit. „Eine emissionsarme Landwirtschaft ist für die Zukunft unabdingbar“, präzisierte der Italiener und ergänzte: „Nur eine nachhaltig effiziente Land- und Ernährungswirtschaft sichert die Welternährung.“ Auch Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher sah in den „etablierten Agrarregionen“ das größte Potenzial für die Nahrungsmittelproduktion. „Ihre Leistungsfähigkeit müssen wir in vollem Umfang dafür nutzen, den Hunger auf dem Globus zu überwinden, Wohlstand überall zu fördern und dabei nachhaltige Entwicklung weltweit durchzusetzen“, sagte der Wissenschaftler der Universität Ulm, der auch Mitglied des Club of Rome ist.
Radermacher wies auf zunehmende Konflikte um Ressourcen, Umweltbelastungen und soziale Gerechtigkeit hin. Er plädierte für eine „weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“. Sie gehe mit einem Wachstumsbegriff einher, der die Aspekte Nachhaltigkeit, aber auch Klimagerechtigkeit und Überwindung der Armut berücksichtige. Auch dieses „grüne Wachstum“ setze voraus, dass die landwirtschaftliche Fläche künftig sehr viel besser genutzt werde als heute. Bei dem Streben nach einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft komme Europa eine Vorbildfunktion zu. „Wir sollten in Europa versuchen, von hier aus die Welt in diesem Sinne positiv zu beeinflussen“, so der Wissenschaftler.
Prof. Hubert Weiger, Bundesvorsitzender des BUND, lobte in seinem Podiumsbeitrag die Initiative zum Dialog. Es gäbe im Spannungsfeld von Produktivität und Nachhaltigkeit eine Vielzahl an Ansätzen der Zusammenarbeit – etwa auch zum Schutz der Biodiversität.
Dr. Hans Jöhr von der Nestlé AG, dem größten Lebensmittelhersteller der Welt mit Sitz in der Schweiz, sprach sich ebenfalls für eine „nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft zur Sicherung der Welternährung“ aus. Dabei gehe es nicht nur darum, die natürlichen Ressourcen durch vorbildliche landwirtschaftliche Praktiken optimal zu nutzen. „Wir müssen – weltweit betrachtet – auch den sozialen und wirtschaftlichen Status von Bauern und ländlichen Gemeinschaften verbessern“, so der Leiter der Abteilung Landwirtschaft. Zu diesem Handeln habe sich sein Haus in den zehn Grundsätzen seiner Geschäftstätigkeit verpflichtet. „Nur wer ökonomische, ökologische und soziale Aspekte der Agrarproduktion zusammenbringt, wird langfristig erfolgreich sein“, lautete Jöhrs Fazit.
Für alle Beteiligten ist der Beginn des Dialoges mit dem thematisch breit angelegten Kongress Agriglobal markiert wollen. Nun wollen die Kammern das Dialogforum mit Veranstaltungen zu Schwerpunktthemen weiterführen. Und die Agritechnika 2013 ist bereits ins Visier genommen.
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