– Hinweis: Das „Factsheet nationale und internationale
Stellungnahmen zugunsten einer Revision des EGMR-Urteils“ (auf
Englisch) kann kostenlos im pdf-Format
unter http://presseportal.ch/de/pm/100001660 heruntergeladen
werden –
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
vom 17. Dezember 2013 Perincek c. Suisse (Nr. 27510/08) ist in
prozessualer und inhaltlicher Hinsicht äußerst mangelhaft. Die
Schweiz hat noch die Möglichkeit, bei der Grossen Kammer des EGMR
letztinstanzlich Revision zu beantragen. Dies muss bis am 17. März
2014 geschehen.
Das Urteil aus Straßburg ist nicht nur für Schweizerinnen und
Schweizer armenischer Abstammung inakzeptabel, sondern auch für die
Schweizer Justiz, die die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern
bereits zweimal auf höchster Ebene verurteilt hat.
Die Gesellschaft Schweiz – Armenien (GSA) hat eine Rechtsabklärung
erstellen lassen, an der international renommierte Völkerrechtler
sowie Schweizer Strafrechtler beteiligt waren. Dieses Dokument wurde
der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizei-Departements
(EJPD) und dem Schweizer Vertreter am EGMR zugestellt mit der
dringenden Bitte, einen Revisionsantrag des Urteils gründlich zu
erwägen.
Eine Weigerung, gegen den EGMR-Entscheid Berufung einzulegen,
würde bedeuten, dass die Schweiz:
– sich von den Grundprinzipen des Schutzes der Menschenrechte, in
erster Linie der Menschlichen Würde, verabschiedet;
– sich von ihren internationalen Verpflichtungen in der
Rassismus-bekämpfung entfernt (s. Bericht der Schweiz vor dem
UNO-Ausschuss über die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens
zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, CERD);
– eine Schwächung ihres eigenen Rechtes aktiv begünstigt;
– eine eindeutig parteiliche Position einnimmt, die die Prinzipien
der Neutralität schwer verletzt. Die Vermittlungsrolle der Schweiz in
der Lösung der Konflikte zwischen Armenien und der Türkei einerseits
und zwischen Armenien und Aserbeidschan andererseits – was im
Jahres-programm des schweizerischen OSZE-Vorsitzenden,
Bundespräsident Didier Burkhalter, zur zentralen Aufgabe erhoben
wurde – wäre damit völlig unglaubwürdig.
Es würde auch bedeuten, dass die Schweiz die zahlreichen
Stellungnahmen von schweizerischen sowie internationalen NGO–s für
einen Revisionsantrag bei der Großen Kammer des EGMR ignoriert,
darunter Stellungnahmen von international anerkannten Experten im
Bereich der Genozidforschung und in Menschenrechtsfragen; diese
betonen die Faktizität des Genozids an den Armeniern und sprechen
sich gegen eine Hierarchisierung von Völkermorden aus, wie sie das
Urteil des EGMR faktisch vorgenommen hat. Die Schweiz würde im
Verzichtsfall auch die gestern veröffentlichte, ausführlich
begründete Stellungnahme der größten und ältesten türkischen
Menschenrechts-organisation, des Menschenrechtsvereins der Türkei
(IHD), ignorieren, der die rassistischen Auswirkungen des
EGMR-Urteils vom 17. Dezember 2013 beschreibt und eine Revision
dieses Urteils auch mit Blick auf die Minderheitensituation in der
Türkei für unerlässlich hält. IHD hebt unter anderem hervor, dass das
EGMR mit seinem Urteil frühere Beschlüsse des Europäischen Parlaments
widerspricht.
Die GSA ging bislang davon aus, dass der Entscheid zum
Revisionsantrag in der ausschließlichen Kompetenz von Bundesrätin
(Ministerin) Simonetta Sommaruga liegt. Der plötzliche Besuch von
Staatssekretär Yves Rossier am 27. Januar 2014 in der armenischen
Hauptstadt Jerewan lässt nun aber vermuten, dass das Schweizer
Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in
dieser Angelegenheit mitreden will. Sollte die Schweiz aber auf ihr
Recht, Revision zu beantragen, verzichten, wäre dies ein verkehrtes
Signal mit unabsehbaren internationalen Folgen: Damit würde gezeigt,
dass die Vermittlerrolle der Schweiz in einer Konfliktlösung nicht
ernst gemeint ist. Die GSA erinnert daran, dass der Besuch in Bern
vom türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu am 10. Oktober 2013, das
schweizerische Außenministerium dazu veranlasst hatte, den Beginn
einer strategischen Partnerschaft mit Ankara auszurufen.
Bundespräsident Burkhalter hat folglich auch keinen Hehl daraus
gemacht, dass dies vor allem mit der Erwartung der Schweiz verknüpft
war, 2015 am G20 Gipfel von der Jahresvorsitzenden Türkei eingeladen
zu werden. Weiter würde eine passive Haltung zeigen, dass die
Schweiz der Verteidigung ihrer eigenen verfassungsmäßigen Grundrechte
keine Priorität einräumt. Ferner gäbe der Verzicht jenen
populistischen Kräften Aufschwung, die schon immer die
Antirassismusstrafnorm und die Eidgenössische Kommission gegen
Rassismus abschaffen wollten. Auf europäischer Ebene würde die
Schweiz die Vorrangigkeit des Rechtsguts Meinungsfreiheit vor allen
übrigen Rechtsgütern bestätigen und damit zur Verletzung von
Menschenrechtsgrundsätzen beitragen.
Wir hoffen, dass sich Bundespräsident Didier Burkhalter, der
übrigens erst Ende Januar 2014 in Auschwitz die Leugnung von allen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit klaren Worten verurteilt hat,
sowie die Vorsteherin des EJPD, Bundesrätin Simonetta Sommaruga,
ihrer Verantwortung gegenüber der Schweiz und der Welt bewusst sind.
Beilage: Factsheet nationale und internationale Stellungnahmen
zugunsten einer Revision des EGMR-Urteils (auf Englisch)
Pressekontakt:
Andreas Dreisiebner, Copräsident der GSA
andreas777@gmx.net
Tel. +41 79 671 86 19
Sarkis Shahinian, Ehrenpräsident der GSA
pg-shahinian@armenian.ch
Tel. +41 76 399 16 25
Weitere Informationen unter:
http://