BÄK legt Forschungsbericht „Medizin und Nationalsozialismus“ vor / Gedenkstunde in Berlin für die Opfer der während des Nationalsozialismus von Ärzten begangenen Verbrechen

„Ärzte haben in der Zeit des Nationalsozialismus
aktiv an der systematischen Ermordung von Kranken mitgewirkt.
Außerdem haben sich führende Vertreter der Ärzteschaft an der
Vertreibung ihrer jüdischen Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Auch
wenn die Mitschuld der Ärzte an den Verbrechen der
NS-Gewaltherrschaft im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte
wissenschaftlich untersucht wurde, ist die Rolle der Ärzteschaft im
Nationalsozialismus bei weitem nicht ausreichend aufgearbeitet
worden. Aus diesem Grund hat die Bundesärztekammer den Anstoß für
einen Forschungsbericht gegeben, der die Wege der wissenschaftlichen
Annäherung an diesen Themenkomplex nachzeichnet und Meilensteine,
aber auch Desiderate der Forschung benennt.“ Dies sagte der Präsident
der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, anlässlich der
heutigen Vorstellung des Forschungsberichts „Medizin und
Nationalsozialismus“ in Berlin. Der Forschungsbericht wird im Rahmen
einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der während des
Nationalsozialismus von Ärzten begangenen Verbrechen in Anwesenheit
von Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler in der Stiftung Neue
Synagoge Berlin – Centrum Judaicum präsentiert.

Die deutsche Ärzteschaft habe sich in den vergangenen Jahren sehr
intensiv mit den Verbrechen, die von Ärzten verübt worden sind,
befasst und Initiativen zur Erforschung der Rolle von Ärzten im
„Dritten Reich“ aktiv unterstützt. Thematisiert worden seien die
Verstrickungen der Ärzte in die nationalsozialistischen Verbrechen
unter anderem auf verschiedenen Deutschen Ärztetagen. „Wir wissen,
dass Ärzte nicht nur weggesehen und geschwiegen, sondern aktiv an der
systematischen Ermordung von Kranken und sogenannten
gesellschaftlichen Randgruppen mitgewirkt haben. Ärzte haben in der
Zeit des Nationalsozialismus Tod und Leiden von Menschen
herbeigeführt, angeordnet oder gnadenlos verwaltet“, sagte Hoppe.
Eine vollständige Aufarbeitung dieser Gräuel stehe noch aus. Der von
einer unabhängigen Expertengruppe erstellte Forschungsbericht sei
hierfür ein wichtiger Beitrag.

Auch der Leiter der Forschergruppe, Prof. Dr. Robert Jütte,
Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch
Stiftung in Stuttgart, wies auf den weiteren Forschungsbedarf hin.
Die mit dem Bericht erstellte Bestandsaufnahme des Forschungsstandes
sei für die weitere wissenschaftliche Arbeit an diesem Themenkomplex
ein dringend notwendiges Arbeitsinstrument. Die mittlerweile zu
konstatierende Fülle an Literatur stelle für viele an dieser Thematik
Interessierte, darunter auch junge Ärztinnen und Ärzte, ein Problem
dar; denn kaum jemand könne noch die gesamte Bandbreite der Forschung
auf diesem Gebiet übersehen. „Selbst ausgewiesene Experten und Kenner
der Materie tun sich mitunter schwer, den Stellenwert ihrer eigenen
Arbeit in diesem sich dynamisch entwickelnden Forschungsfeld richtig
einzuschätzen. Angesichts des inzwischen hoch differenzierten
Forschungsstandes ist ein aktueller Forschungsbericht zur Geschichte
der Medizin im Nationalsozialismus seit vielen Jahren überfällig“,
betonte Jütte.

Die Gedenkveranstaltung der Bundesärztekammer, auf der auch ein
Überlebender des Holocaust, der renommierte Medizinprofessor Dr.
Janos Frühling aus Brüssel, sprechen wird, bildet zugleich den Rahmen
für die Verleihung des Forschungspreises, den die Bundesärztekammer
bereits zum dritten Mal gemeinsam mit dem Bundesministerium für
Gesundheit und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ausgelobt hat.
Dabei zeigten sowohl die hohe Zahl sowie die überwiegend hohe
Qualität der eingereichten Arbeiten, dass auch in Zukunft noch
weitere Forschungslücken durch das anhaltende Interesse der
nachwachsenden Ärztegeneration geschlossen werden können.

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