Erkältungsangst: So kassieren Apotheken ab

Viele Menschen fürchten derzeit eine Erkältung und
wünschen sich starke Abwehrkräfte. Doch wer damit in die Apotheke
geht, wird oft schlecht beraten und erhält überflüssige Medikamente.
Das ergab eine Stichprobe des Wirtschafts- und Verbrauchermagazins
„Markt“ im NDR Fernsehen. Das erschreckende Ergebnis: Fast alle
getesteten Apotheken machten ein gutes Geschäft – ohne Rücksicht auf
den Patienten. Mediziner und Pharmakologen sind entsetzt.

„Markt“ testete mit der immer gleichen Fragestellung die Beratung
in zehn Apotheken: „Ich bin gesund, möchte mich aber in der
Erkältungszeit vor einer Ansteckung schützen.“ Das Ergebnis: Neun
Apotheken verkauften Präparate zum Schutz vor einer Erkältung und zur
Stärkung des Immunsystems. Der Allgemeinmediziner Dr. Martin Scherer
von der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf rät von solchen Mitteln zur
Prophylaxe ab: „Bei einer Erkältung habe ich es mit einer Vielzahl
von Viren zu tun. Hier das Immunsystem unspezifisch stimulieren zu
wollen, ist nicht sinnvoll. Wenn es mir gut geht, dann gibt es da
nicht mehr viel zu optimieren. Die Produkte, die es hier gibt, führen
zu einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems – für sie gibt
es keinerlei belastbare Wirksamkeitsbelege.“

Bei den Testkäufen wurden pro Apotheke zwischen 6,75 und knapp 50
Euro fällig – Geld, das man sich auch aus Pharmakologen-Sicht sparen
kann. „Es ist ein Verkaufen von Produkten, die mit dem Immunsystem
wenig zu tun haben, und insofern ist es in den meisten Fällen
Geschäftemacherei“, kritisiert der Pharmakologe Gerd Glaeske das
Vorgehen der Apotheken.

In sieben von zehn Apotheken wurden auch Nahrungsergänzungsmittel
für Kinder, überwiegend Zink, verkauft. Das ist nicht nur
überflüssig, sondern kann auch gefährlich werden. „Gerade in der
Wachstumsphase ist von einer unspezifischen Stimulierung des
Immunsystems abzuraten, gerade auch, weil Überreaktionen induziert
werden können, und deshalb würde ich dazu raten, generell damit
vorsichtig zu sein“, warnt Dr. Martin Scherer vom UKE.

Nur eine Apotheke hat in der „Markt“-Stichprobe gar nichts
verkauft, sondern die normalen Regeln zur gesunden Lebensweise
empfohlen: ausgewogene Ernährung, frische Luft und Bewegung.

Apotheker sind gesetzlich verpflichtet zu beraten. Seit dem 1.
Juni 2012 ist eine ausführliche Kundenberatung sogar laut
Apothekenbetriebsordnung Pflicht. Die Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände e.V. (ABDA) schreibt „Markt“ auf Anfrage: „Die
Berufsorganisationen der Apotheker haben ein hohes Interesse daran,
dass in den Apotheken vor Ort gut beraten und die Beratungsqualität
kontinuierlich gesteigert wird. Aber bei rund 20.000 Apotheken mit
150.000 Mitarbeitern und etwa 3,6 Millionen Patientenkontakten
täglich können wir natürlich nicht garantieren, dass jeder einzelne
Beratungsfall zur vollsten Zufriedenheit verläuft.“

Mehr zum Thema in der Sendung „Markt“, Montag, 27. November, um
20.15 Uhr im NDR Fernsehen und bei www.NDR.de/markt.

27. November 2017 / IB

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