HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Schlecker

Ein Kommentar von Oliver Schade

Die Geschichte der Drogeriemarktkette Schlecker ist keine
ruhmreiche. Soviel lässt sich bereits heute festhalten, auch wenn das
letzte Kapitel noch nicht geschrieben ist. Ein von Macht besessener
Unternehmer gründete einen Handelsbetrieb und formte aus diesem mit
zweifelhaften Methoden den größten Drogeriemarktkonzern Deutschlands.
Den Kampf gegen seine Konkurrenten führte Anton Schlecker
ausschließlich über den Preis. Und deshalb mussten die Kosten nach
unten, ohne Kompromisse. Keine Ladenmiete konnte niedrig genug sein,
kein Lohn zu gering, kein Lieferantenrabatt zu hoch. Hätte nicht
bereits eine große Elektronikkette das Copyright auf „Geiz ist geil“,
Schlecker wäre der ideale Erfinder dieses Slogans gewesen. Doch
irgendwann war zumindest bei den Kunden der Drogeriemärkte Geiz nicht
mehr nur geil. Guter Service und zentrale Lagen zählten wieder mehr
und auch die Art und Weise, wie Schlecker mit seinen Mitarbeitern
umging, missfiel den Massen. Sie wandten sich vom Billigheimer ab,
gingen zu den Konkurrenten. Zumindest zu denen, die noch da waren,
die Schlecker nicht mit seinem Preisdumping in den Ruin getrieben
hatte. Nun musste der Preisdrücker Insolvenz anmelden, Filialen
schließen – und 11?000 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit: die
bittere Konsequenz einer desaströsen Geschäftspolitik. Diese
Vorgeschichte muss man sich ins Gedächtnis rufen, bevor man über den
Sinn und Unsinn staatlicher Bürgschaften für eine
Schlecker-Transfergesellschaft urteilt. Selbstverständlich kommt es
einigen Politikern – auch mit Blick auf bevorstehende Wahlen –
gelegen, sich als Helfer in der Not zu präsentieren. Was sind schon
ein paar Millionen Euro Steuergeld, wenn man sich damit das Image des
sozialen Kümmerers erkaufen kann? Aber wo waren alle diese Politiker
in den vergangenen Jahrzehnten? Wer von ihnen hat nach Hilfen für die
vielen kleinen Wettbewerber gerufen, die Schlecker an die Wand
gedrückt hat? Nun elektrisiert die auf den ersten Blick große Zahl
von 11?000 Arbeitsplätzen. Allerdings verteilen sich die Stellen auf
ganz Deutschland. So sind in Hamburg nur 110 Jobs betroffen –
Massenentlassungen sehen anders aus. Und um ein Unternehmen mit
überragender Bedeutung für den Standort Deutschland handelt es sich
bei Schlecker auch nicht. Selbstverständlich ist es für jeden
einzelnen Beschäftigten eine persönliche Tragödie, wenn er seinen
Arbeitsplatz verliert. Allerdings muss man die Frage stellen: Was
können teure Transfergesellschaften mehr leisten als die
Arbeitsagenturen? Im Fall Schlecker nichts. Denn der Unterschied
zwischen den angebotenen Bewerbungstrainings und Fortbildungen ist
marginal. Am Ende gewinnen die Schlecker-Beschäftigten in der
Transfergesellschaft ein halbes Jahr Zeit, um einen neuen Job zu
finden. Und Schlecker selbst vermeidet Kündigungsklagen und
Abfindungszahlungen – denn darauf müssen diejenigen Beschäftigten
schriftlich verzichten, die sich für den Weg in die
Transfergesellschaft entscheiden. Die Diskussionen im Fall Schlecker
zeigen exemplarisch, wie sich die soziale Marktwirtschaft früherer
Tage zu einem Kapitalismus mit staatlichem Dauer-Airbag gewandelt
hat. Allzu schnell ist von Systemrelevanz die Rede und von sozialer
Verantwortung, welche die Politik übernehmen müsse. Nicht selten
kommen diese Hinweise von Menschen, die zuvor das Wort sozial kaum
buchstabieren konnten, denen aber plötzlich finanziell selbst das
Wasser bis zum Hals steht. Schlecker muss sich alleine aus seiner
Misere befreien – ohne jede Art staatlicher Hilfe. Wer Jahre lang
Wildwest spielt, muss auch mal vom Pferd fallen können, ohne liegen
zu bleiben. Kommt er nicht wieder in den Sattel, dann hat er eben
ausgespielt.

Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de

Weitere Informationen unter:
http://