Streit um Industrieemissionen gefährdet die Energiewende

Ein Streit zwischen dem Bundesumwelt- und dem Wirtschaftsministerium über die Umsetzung der EU-Industrieemissionsrichtlinie birgt Gefahren für die Energiewende. Neue Grenzwerte könnten dazu führen, dass Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssten. Das geht aus internen Berechnungen der Branche hervor, die dem „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe) vorliegen. Die Industrieemissionsrichtlinie erfasst die gesamte erzeugende Industrie, darunter allein 1.800 Großfeuerungsanlagen, also etwa Gas- und Kohlekraftwerke, aber auch Gießereien, Stahlwerke, Anlagen der chemischen Industrie und selbst große Tierzuchtbetriebe. Die bereits 2010 verabschiedete Richtlinie setzt neue Ziele zur Verbesserung der Luftqualität. Sie muss bis Januar 2013 in nationales Recht umgesetzt werden. Während das Wirtschaftsministerium darauf drängt, die Richtlinie in weiten Teilen schlicht in nationales Recht umzuwandeln, pocht das Umweltressort darauf, an einzelnen Stellen über die Anforderungen aus Brüssel hinauszugehen. Der Streit darüber sorgt für Verzögerungen. In Regierungskreisen heißt es, die ursprünglich geplante Ressortabstimmung bis Ende 2011 sei nicht mehr zu erreichen, eine Kabinettsbefassung im ersten Quartal 2012 werde ebenfalls immer unwahrscheinlicher. Geht es nach den Plänen des Umweltressorts, sollen insbesondere die Grenzwerte für Stickoxide über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus verändert werden. Dasselbe gilt für Staubgrenzwerte. Außerdem streiten die beiden Ministerien über die Frage, unter welchen Bedingungen die neuen Grenzwerte ausnahmsweise nicht eingehalten werden müssen. Während die Energiebranche die Grenzwerte der EU-Richtlinie für „ambitioniert, aber erfüllbar“ hält, sieht sie die vom Umweltressort geplanten Verschärfungen kritisch. In der Branche heißt es, eine Umsetzung der Pläne aus dem Umweltministerium hätte zur Folge, dass mehr als acht Gigawatt Kraftwerkskapazität unwirtschaftlich würden und vorzeitig vom Netz müssten. Das entspricht der Kapazität von rund acht großen Kohlekraftwerken. Zusätzlich stehen nach Branchenberechnungen abhängig von der Marktentwicklung weitere zehn Gigawatt Kapazität „auf der Kippe“. „Grenzwertverschärfungen mit solchen Risiken und ohne Kenntnis der zukünftigen europäischen Anforderungen sind abzulehnen“, heißt es in internen Papieren der Branche.