WAZ: Der Sprung ins Ungewisse – Kommentar von Stefan Schulte zum Mindestlohn

Der Mindestlohn kommt – und weder Wirtschaft noch
Politik noch Wissenschaft wissen, wie er unsere Arbeitswelt verändern
wird, ob und wie viele derzeit niedriger bezahlte Jobs er womöglich
vernichtet. Einigermaßen beruhigend wirkt da die Gewissheit, dass der
Mindestlohn faktisch längst wirkt, indem er ganze Branchen zu neuen
Tarifabschlüssen gezwungen hat, die der neuen Untergrenze bereits
Rechnung tragen. Und weder aus der Gastronomie noch der Pflegebranche
ist bisher bekannt, dass die eigenen Mindestlöhne zu nennenswerten
Entlassungen geführt hätten.

Dennoch bleiben erhebliche Risiken. Die Schwäche des Mindestlohns
ist, dass er überall gleich hoch ist, obwohl das Lohngefälle zwischen
Ost und West nach wie vor bei rund 20 Prozent liegt. Die politische
Gleichbehandlung geht an der Lebenswirklichkeit im Osten vorbei. Im
Westen wird die spannende Frage sein, ob Jobs wirklich wegfallen oder
der Mindestlohn nur zu einer Marktbereinigung in den betroffenen
Branchen führt, bei der Unternehmen, die sich durchsetzen, die
Stellen der gescheiterten übernehmen. So richtig weiß das niemand, es
bleibt ein Sprung ins Ungewisse.

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